INTERVIEW: SVEN VAN THOM – „Ich wollte diese Ernsthaftigkeit nicht durch witzige Lieder verwässern.“

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SVEN VAN THOM hat sich in letzter Zeit so einiges getraut: Er ist von Berlin in die hessische Provinz gezogen, Vater geworden, und veröffentlicht nun erstmals ein komplett ernsthaftes Album, das keine Albernheiten nötig hat und sich mit Hingabe und Tiefgang den Themen „LIEBE & DEPRESSION“ widmet. Unterhaltsam, charmant und musikalisch facettenreich ist er dabei trotzdem geblieben. Gute Gründe für ein ausführliches Gespräch:
 
Wie würdest Du das Paar „Liebe & Depression“ beschreiben, Sven? Passen die beiden zusammen?
 
Man denkt natürlich zuerst, dass die zwei ein ungleiches Paar sind. Aber jeder dieser beiden Zustände steht für ein extremes Gefühl – eins für die höchsten Höhen, das andere für die tiefsten Tiefen. Beide haben die Macht, einen Menschen komplett für sich zu vereinnahmen oder gar völlig aus der Bahn zu werfen. Und nicht zu vergessen: Eine unerfüllte oder verflossene Liebe kann jemanden auch in eine Depression stürzen. Und so haben Liebe und Depression vielleicht doch viel mehr gemeinsam, als man zunächst vermutet, oder zumindest nicht wenige mögliche gemeinsame Schnittpunkte. Sicherlich vermag es das Frischverliebtsein auch, jemanden zeitweilig aus einem depressiven Zustand herauszulösen. Dass das auf Dauer funktioniert, glaube ich jedoch nicht – zumindest nicht, solange die Depression die Ausmaße einer ausgewachsenen Krankheit hat.
 
Hast Du bewusst ein Konzeptalbum geschrieben oder hat es sich eher zufällig so ergeben?
 
Der Albumtitel stand schon fest, lange bevor alle Lieder dafür geschrieben waren. Denn das Thema „Depression“ begleitet mich schon seit meiner Teenager-Zeit, und die Liebe sogar noch viel, viel länger. Ich hätte auch ein komplettes Album nur über die Depression machen können, aber gerade dieser Gegensatz zwischen Liebe und Depression hat für mich etwas Reizvolles: Das Schöne und das Hässliche stehen dicht beieinander – und das ist etwas, das sich seit meinem Solodebüt „Phantomschmerz“ (2008) durch mein ganzes Schaffen zieht. Jedoch war ich noch nie zuvor so konsequent darin, wie mit diesem neuen Album.
 
Es gibt ja dieses Klischee, dass Künstler, die sich häufig humoristischen Inhalten widmen, oft eine ausgeprägte melancholische Seite haben. Kannst Du das bestätigen? Und was hat Dich dazu bewogen, erstmals ein weitgehend ernsthaftes Album zu veröffentlichen?
 
Ich kann zumindest sagen, dass dieses Klischee auf mich zutrifft, und auch auf ein paar Freunde oder Bekannte, die sich, so wie ich, in der Kunst der Albernheiten austoben. Da fällt mir zuerst mein Freund Blockflöte des Todes ein: Ein Typ, der keinen Kalauer unausgeprochen lassen kann, aber gleichzeitig ein ausgeprägter Melancholiker ist. Ich glaube aber nicht, dass alle humoristischen Künstler nun unbedingt von Depressionen geplagt sind. Ich kenne es von mir, dass ich sehr viel produktiver und kreativer bin, wenn es mir gerade gut geht.
 
In den letzten Jahren habe ich mich fast ausschließlich mit humoristischen Inhalten auf der Bühne oder im Radio präsentiert – einmal mit Tiere streicheln Menschen (Comedy-Duo mit Martin „Gotti“ Gottschild); und im Zuge meiner ehemaligen wöchentlichen radioeins (RBB)-Radiokolumne „Pudding mit Frisur“ (in mehr als 80 Folgen kommentierte Sven van Thom aktuelle Ereignisse in Songform; die Lieder wurden später auf seiner„Pudding mit Frisur“-Trilogie veröffentlicht) wurden auch meine Solo-Auftritte immer pointenreicher. Mit der Zeit wurde jedoch der Wunsch, meine ernsthafte Seite mal wieder ins Rampenlicht zu rücken, immer größer, und ich wollte diese Ernsthaftigkeit nicht durch witzige Lieder verwässern – die ich allerdings auch noch zuhauf in der Schublade habe. Ich gönne mir also gerade einen kleinen Urlaub vom Humor.
 
Kannst Du Dich noch daran erinnern, wann Du zum ersten Mal mit dem Thema „Depression“ in Berührung gekommen bist?
 
Zum ersten Mal habe ich so etwas wie eine Depression mit etwa 15 Jahren verspürt. Mein Schulfreund Tobias Siebert (heute Inhaber des Studios Radio Buellebrueck, er hat Tonträger von u.a. Enno Bunger, Marcus Wiebusch, Woods Of Birnam, Slut und Me And My Drummer produziert und sich zudem mit seinen eigenen musikalischen Projekten DelboKlez.e und And The Golden Choir einen Namen gemacht) hatte mich bei dem Versuch, gemeinsam Musik zu machen, in die Welt von a-Moll eingeführt. Wir waren beide leidenschaftliche Keyboardspieler, kamen jedoch aus völlig unterschiedlichen Richtungen: Er war The-Cure-Fan und war optisch kaum von der Bühnenfigur Robert Smith zu unterscheiden – wäre da nicht der Altersunterschied gewesen. Ich hingegen hörte ausschließlich Hip Hop und Die Ärzte. Der Grufti Tobias gab mir ein paar Tapes mit, um meinen musikalischen Horizont zu erweitern. Über zwei Wochen beschäftigte ich mich eindringlich mit der Musik von Goethes Erben und Relatives Menschsein, bis ich irgendwann tatsächlich besorgniserregende Selbstmordgedanken hatte. Das war mir bisher neu gewesen. Erst als ich nach vielen Tagen zur Abwechslung wieder einmal „Jetzt geht’s ab“, das erste Album der Fantastischen Vier, in den Kassettenplayer legte, hellte sich meine Stimmung binnen weniger Minuten wieder auf. Man könnte fast behaupten: Die Fantastischen Vier haben mein Leben gerettet! Nie zuvor war mir so bewusst gewesen, welche Macht Musik auf die Psyche hat.
 
Hast Du Dich dann doch noch weiter der melancholischen Musik gewidmet oder erst mal einen großen Bogen darum gemacht?
 
Goethes Erben ließ ich fortan links liegen, aber melancholische Musik beschäftigte mich weiter. Die Indie-Klassiker der 90er: Radiohead, Eels und Nirvana. Aber auch Künstler, deren Ausdruck eher wütend als traurig daherkam: Rage Against The Machine, Public Enemy. Zwischen allen Stühlen saßen dann auch noch die Beastie Boys oder Beck. Was in meiner heutigen Musik jedoch viel mehr wiederzuerkennen ist, sind die Rock-Klassiker der 60er und 70er – wie Pink Floyd, The Beatles oder Neil Young. Wenn ich bei den Beatles klaue, passiert das üblicherweise eher aus Versehen. Auf „Liebe & Depression“ habe ich mich musikalisch jedoch ganz bewusst bei Pink Floyd und Neil Young bedient, und versucht etwas zu erschaffen, das wie ein Zitat der Musik klingt, die mir schon als Jugendlicher so viel bedeutet hat.
 
Die Vorabsingle „Danke, gut“ hat deutliche Pink-Floyd-Referenzen parat.
 
Angestachelt hat mich „Cold Little Heart“, der erste Track von Michael Kiwanukas zweitem Album „Love & Hate“ (2016). Die Idee, mein Album „Liebe & Depression“ zu nennen, ist zwar wesentlich älter als Kiwanukas Platte, jedoch war ich nach dem ersten Hören von „Love & Hate“ so inspiriert, dass ich endlich auch einmal etwas im Pink-Floyd-Gewand aufnehmen wollte. Ich könnte gleich drei Pink-Floyd-Songs nennen, bei denen ich mich hier ganz bewusst bedient habe: „Shine On You Crazy Diamond, Part 2“, „One Of These Days“ und „Sheep“. Zudem könnte ich noch „Picture That“ von Roger Waters‘ aktuellem Album „Is This The Life We Really Want?“ dieser Liste hinzufügen, auf dem der ehemalige Kopf der Band sich hinreißend selber zitiert. Waters war eines meiner großen Jugend-Idole. Nicht nur die weitgehend herausfordernde Musik von Pink Floyd, sondern auch der beißende Sarkasmus seiner Songtexte waren für mich lange Zeit faszinierend. Die Hingabe ging so weit, dass mein Freund Jakob und ich unserer gemeinsamen Schülerband den Namen „Shaped Waters“ gaben. Unsere Erklärung war immer, dass „Shaped Waters“ einfach nur ein Synonym für den Menschen sein sollte, da wir bekanntlich zu über zwei Dritteln aus Wasser bestehen. In Wahrheit wollten wir jedoch einen Bandnamen haben, in dem der gute alte Roger vorkommt! Ich habe tatsächlich mit dem Gedanken gespielt, ein komplettes Album mit Pink-Floyd-Referenzen aufzunehmen. Aber so konsequent bin ich dann leider doch nicht.
 
Welche inhaltliche Idee steckt hinter „Danke, gut“? 
 
Der Text zu „Danke, gut“ ließ sehr lange auf sich warten. Erst nach Monaten kam mir die simple finale Idee: einfach zu erzählen, dass die Depression allumfassend sein kann, man sich jedoch nach außen hin nichts anmerken lässt. Teilweise aus Scham. Ich rede zwar an sich ganz gern über das Thema „Depressionen“, habe es in Gegenwart einzelner Menschen jedoch auch schon bereut, wenn von diesen nur eine Reaktion kam à la: „Der soll sich mal zusammenreißen!“ Das pure Unverständnis für eine Krankheit, die kein Spaß ist.
 
Was empfiehlst Du jemandem, der das Gefühl hat, depressiv zu sein, aber versucht, sein Seelengrau unter Verschluss zu halten? 
 
Psychotherapie ist ein gewaltiges Wort und ein weites Feld. Als junger Mann hätte ich es mir nicht vorstellen können, so etwas in Anspruch zu nehmen, weil ich im Grunde kaum etwas darüber wusste. Heute würde ich allen dazu raten, die offen dafür sind, an sich zu arbeiten. Es hilft ungemein zu wissen, warum man so tickt wie man tickt.
 
Das Video zu „Danke, gut“ wird von Musik-TV-Legende Markus Kavka an- und abmoderiert. Er engagiert sich für den Verein Freunde fürs Leben, der Aufklärungsarbeit zu den Themen Depression und Suizid leistet, und auf den Du auch am Ende des Videos hinweist. Der Clip ist zudem mit Hilfe zahlreicher Fans und Musikerkollegen entstanden (u.a. sind Björn Sonnenberg-Schrank von Locas In Love, Nicola Rost von Laing und Tobias Friedrich von Husten darin zu sehen). Warum dreht sich in dem Video alles und jede(r)?
 
In Zeiten von Corona wollte ich es gern vermeiden, mit einer Videoproduktionsfirma zusammenzuarbeiten, um so wenig Kontakte wie möglich zu haben. So kam schnell die Idee auf, dass ich Leute auf Social Media fragen könnte, sich beim Singen meines Songs zu filmen. Das Drehen symbolisiert das sprichwörtliche Gedankenkarussell in einer Depression – ein total einfaches Stilmittel, aber so effektvoll! Das Video wirkt auf mich irrsinnig rasant, nicht nur wegen der schnellen Schnitte, sondern vor allem wegen der Drehung. Zuerst hatte ich ja Bedenken, ob sich überhaupt mehr als zehn Leute finden würden, die meiner Bitte, sich zu filmen, nachkommen. Umso überwältigender war es, zu sehen, dass am Ende so viele Menschen mitgemacht haben. Es gab sogar einzelne Leute, die das komplette Lied von vorn bis hinten auswendig konnten und ihren Clip in einem Take durchgefilmt haben. Das hat sich für mich wie ein riesiges Kompliment angefühlt.
 
 
In diesen seltsamen Corona-Zeiten pfeifen Einsamkeit und Depression besonders rücksichtslos auf Abstand und Kontaktbeschränkungen. Wie erlebst Du die Pandemie? 
 
Das Timing der Pandemie hat es verdammt gut mit mir gemeint. Ich bin Anfang 2020 von Berlin in die hessische Pampa gezogen – ich glaube, das alles ist auf dem Land sehr viel erträglicher als in der Großstadt. Zudem bin ich wenige Wochen vor dem ersten Lockdown Vater geworden, und so war ich sogar froh darüber, dass meine Auftritte aufgrund der Pandemie nicht stattfinden konnten. So hatte ich plötzlich sehr viel mehr Zeit und Ruhe, mich um meine Familie zu kümmern.
 
Kommen wir nun zur Liebe: „Die ganze Zeit“ ist wohl das ungetrübteste Liebeslied Deines bisherigen Schaffens. Manch eine(r) wird sich fragen, was die kryptischen Zeilen „Ich hab Dir was gebastelt / Aus Glas, Papier und Haar / Dass das Geschenk mehr als ein Witz war / War uns jahrelang nicht klar“ zu bedeuten haben. Möchtest Du das verraten?
 
Das Lied entstand einen Tag nachdem ich ein Jan-Plewka-Konzert besucht hatte und sehr angetan von den Fähigkeiten seines Gitarristen Marco Schmedtje war. Vielleicht hört man es dem Song nicht unbedingt an, aber für mich ist die Gitarre durchaus ungewöhnlich und viel schwieriger zu spielen als vieles andere. Ich wollte mir wohl einfach mal Mühe geben! Und tatsächlich hat Jan Plewka unbewusst mit diesem Lied zu tun: Als ich im Jahr 2010 den bereits erwähnten Musiker Blockflöte des Todes bei Stefan Raabs „Bundesvision Song Contest“ auf der Bühne begleiten durfte, nahm auch Plewkas Band Selig an der Show teil. Eine gute Freundin von mir, die das Spektakel live im TV verfolgte, schrieb mir an dem Abend eine SMS: „Sven, bring‘ mir bitte ein Brusthaar von Jan Plewka mit, ich hab‘ doch bald Geburtstag.“ Jan Plewkas üppiges Brusthaar nahm an diesem Abend aber auch wirklich unverschämt viel Platz auf den Fernsehbildschirmen ein! Während der Aftershow-Party bat ich dann Jan um eines seiner Brusthaare, mit der Bemerkung, ich würde es gern einer Freundin zum Geburtstag schenken. Meine Ernte war erfolgreich, und so kaufte ich einen sehr kleinen Bilderrahmen mit gläsernem Rand, schnitt aus einer Zeitung ein Bild von Jan Plewka aus und bastelte ein Top-Geschenk „aus Glas, Papier und Haar“. Danach sollten noch viele Jahre ins Land gehen, bis die besagte Dame und ich uns auch auf romantischer Ebene näherkamen.
 
Vom Rosaroten zum absoluten Gegenteil: „Darüber kann ich nicht lachen“ beleuchtet gesellschaftliche Düsternis. Das subjektive Empfinden existenzieller Bedrohung, das die Menschen, um die es in diesem Lied geht, auf bedauerliche Pfade geführt hat, kommt einer Depression oder auch einer irrational getriggerten Angststörung erschreckend nahe.
 
Das Lied ist entstanden, als Pegida ein großes Thema war. Durch die anhaltende Debatte über Hass im Internet hat die Relevanz dieses Liedes für mich über die Jahre eher zu- als abgenommen. Etwas ambivalent stehe ich der Schlusszeile gegenüber: „Ihr seid laut und ihr seid viele, doch die Mehrheit seid ihr nicht.“ Jahrzehntelang schien es für mich erstrebenswert, eher zu den Außenseitern zu gehören. Das Indie-Pathos der 90er Jahre prägte lange mein Lebensgefühl. Anders zu sein, gerade als Heranwachsender in der brandenburgischen Provinz, in der Rechts-Sein eine vorherrschende Jugendkultur war, galt für mich lange Zeit als „das einzig Richtige“ – und wenn es sich auch bloß auf das Tragen langer Haare, billiger Second-Hand-Klamotten und das Spielen in einer Rockband beschränkte. Hauptsache, kein Rechtsradikalismus und keine toxische Männlichkeit in Form von Fußball oder tiefergelegten VW Golfs! Mittlerweile ist meine Haltung zu vielen Dingen viel eher mit dem Mainstream vereinbar. Sogar soweit, dass eine CDU-Kanzlerin sich in einer Krisensituation (2015) auf die Seite flüchtender Menschen stellt und meiner Wahrnehmung nach genau das Richtige tut. Dass noch immer hunderte oder gar tausende Menschen jährlich im Mittelmeer ertrinken, zeigt jedoch leider, wie wenig nachhaltig die Aktion war, und das ist einfach nur schrecklich und beschämend für die EU und ihre politischen Akteure. Mittlerweile sind es jedoch die Menschen mit rechtsradikalem Gedankengut, die sich lautstark als Außenseiter positionieren. Und ich habe ein mulmiges Gefühl dabei, dass sie eine Haltung einnehmen, die ich selber einmal innehatte.
 
Ein mulmiges Gefühl bekommt man auch bei „Selten“. Es ist die schonungslose Dokumentation einer Beziehungskrise, die nicht gut ausgeht. Was kann man eigentlich tun, um eine Beziehungskrise zu vermeiden? 
 
So anstrengend es auch sein mag: Reden soll helfen!
 
Das Lied wird gegen Ende aber auch ein bisschen lustig. Eine absolute Rarität auf diesem Album.
 
Ja, im hinteren Teil von „Selten“ schwenkt das Stück über zu einem der wenigen komischen Momente des Albums. Nicht nur die Zeile „Ich hasse ihn!“ verweist dabei auf meine Liebe zu Farin Urlaubs Texten, aber diese Stelle kann durchaus als Hommage an Die Ärzte gewertet werden. Bei der besten Band der Welt bin ich übrigens im Jahr 2007, auf der „Es wird eng“-Tour, im Vorprogramm aufgetreten. Bela B hatte meine Kapelle Beatplanet dazu eingeladen.
 
Hast Du schon mal über eine Kollaboration mit Bela B nachgedacht? 
 
Tatsächlich tagträume ich seit Jahren davon, mal mit Bela eine Platte zu machen. Vielleicht rührt das daher, dass mir schon häufig gesagt wurde, dass meine Stimme wie die seine klingt, was ich zu einem kleinen Teil nachvollziehen kann. Normalerweise hört man so etwas als Künstler ja nicht gern, wenn einem gesagt wird, man klinge wie jemand anderes. Aber solange es um die Ärzte geht, nehme ich es niemandem krumm. Bis auf einen E-Mail-Wechsel, hatte ich mit Bela allerdings, seit der Tour 2007, gar keinen Kontakt mehr – von daher müsste ich schon eine richtig gute Idee haben, um ihn für eine Kollaboration anzufragen. Ich bin bei sowas eher scheu. Aber Lust darauf hätte ich sehr.
 
In „Verlieb Dich bloß nicht in mich“ ist am Cello Deine langjährige musikalische Wegbegleiterin Anne Müller zu hören, die man auch von ihrer engen Zusammenarbeit mit Nils Frahm und Agnes Obel kennen könnte. Das Cello ist vermutlich so ziemlich das einzige Instrument, das Du nicht beherrschst, oder? 
 
Es ist zumindest das einzige Instrument, das ich auf dieser Platte nicht selber eingespielt habe. Ich beherrsche die üblichen Rockband-Instrumente mehr oder weniger zufriedenstellend: Gitarre, Bass, Klavier und ein bisschen Schlagzeug. Im Studio werkle ich auch gerne mit Flöten, Synthies, Drummachines oder so nerdigen Dingen wie Omnichord vor mich hin. Und auf der Bühne habe ich seit einigen Jahren immer häufiger das Theremin dabei – dieses seltsame elektronische Instrument, das man nicht berührt, sondern über Antennen spielt. Es kam auch auf dem neuen Abum mehrmals zum Einsatz. Ich kann nicht behaupten, sonderlich gut darin zu sein, es ist aber auch wahnsinnig schwer zu spielen! Ich hatte irgendwann schon einmal überlegt, mir auch das Cellospielen selber beizubringen. Aber bis ich annähernd so gut werde wie Anne, würden wohl Jahrzehnte vergehen. Also bitte ich doch lieber weiterhin sie, meine Platten durch ihr Spiel zu veredeln.
 
Was hat Dich inhaltlich zu „Verlieb Dich bloß nicht in mich“ inspiriert?
 
Die Idee zum Text kam mir, nachdem ich mir verschiedene Online-Dating-Geschichten von Leuten aus meinem Freundeskreis angehört hatte. Es gab Fälle, in denen diese in langjährigen Beziehungen, inklusive Heirat, mündeten. Die Regel waren jedoch Enttäuschungen und eine merkliche Sehnsucht nach emotionaler Tiefe und Bindung. Stattdessen gab es zwar Sex, aber nichts darüber hinaus. In einer kurzen Phase des Soloseins habe ich mir aus Neugier auch einmal Tinder aufs Handy geladen, es nach drei Tagen aber wieder deinstalliert, weil ziemlich schnell klar war, dass diese Plattform etwas für gutaussehende Menschen unter 35 sein mag, die wissen, wie man sich verkauft. Bei mir wollte jedoch gar nichts florieren! Immerhin habe ich es mal ausprobiert und kann sagen: Das war nichts für mich.
 
Diese Episode muss auch schon eine ganze Weile her sein, mittlerweile bist Du Familienvater. Fallen Dir jetzt eigentlich automatisch mehr Kinderlieder ein als früher? Und wird es ein zweites Kinderliederalbum geben?
 
Jawohl, mein zweites Kinderliederalbum, der Nachfolger zu „Tanz den Spatz“, ist noch für dieses Jahr geplant. Und tatsächlich fallen mir gerade mehr Kinderlieder ein als alles andere! Wobei mein Kind natürlich noch viel zu klein ist, um meine Kinderlieder zu verstehen – die sind ja eher etwas für Fünfjahrige und älter.
 
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Zurück zu Deinem neuen Erwachsenen-Album: Hat „Liebe & Depression“ auch Lösungsansätze parat?
 
Mir geht es nicht im Geringsten darum, einen Ausweg aufzuzeigen. Mich interessiert in diesem Fall einfach nur der Ist-Zustand und das überwältigende Gefühl der Lähmung. Immerhin zeigt der Schluss-Satz von „OK“ einen leisen Hoffnungsschimmer. Der stammt allerdings nicht von mir.
 
Du hast dafür ein Interview mit einem Bühnenkollegen gemacht.
 
Dem Singer-Songwriter Kai-Olaf Stehrenberg war ich einmal bei einem Auftritt an der Ostsee begegnet. Seitdem folgte ich ihm auf Facebook und entnahm seinen Postings, dass er sich mit einer ausgewachsenen Depression herumschlagen muss. Inhaltlich fischen Kai-Olaf und ich teilweise in ähnlichen Gewässern: Es geht auch bei ihm viel um die Liebe und um Melancholie, jedoch nicht ohne Witz. Da er so öffentlich mit seiner Depression umzugehen schien, bat ich ihn um ein Interview, um einzelne Teile daraus für den entsprechenden Track zu verwenden. Dass ich am Ende weit mehr als die Hälfte unseres Gespräches verwenden würde, war mir während der Aufnahme noch nicht klar. Ursprünglich schwebten mir einzelne Wortfetzen wie auf Pink Floyds „Dark Side Of The Moon“ vor. Beim Auswerten war mir jedoch schnell klar, dass ich lieber ein umfassenderes Bild der Person zeichnen möchte, und so wurde aus einem Instrumental, das ursprünglich als Intro für die Platte gedacht war, ein eigenständiger Track, der das Thema „Depression“ noch einmal umfassend beleuchtet.
 
Welches Lied von Deinem neuen Album würdest Du der Depression als akustische Visitenkarte in die Westentasche stecken?
 
„Dass es knallt“ bringt die lähmende Aussichtslosigkeit einer Depression wahrscheinlich am besten auf den Punkt. Ich denke dabei an meine kalte Anderthalb-Zimmer-Altbauwohnung im Prenzlauer Berg, in der ich einige Jahre gewohnt habe. Die Praxis meiner ersten Psychotherapeutin war gleich um die Ecke. Dort habe ich Unterstützung darin gefunden, meine eigenen Bedürfnisse nicht nur wichtig, sondern überhaupt erst einmal wahrzunehmen. Und ich habe gelernt, dass das, was ich als „depressive Phasen“ empfinde, etwas ist, womit ich trotzdem leben kann. Ich habe Muster erkannt und nehme Situationen seitdem nicht mehr als so bedrohlich wahr wie vorher. Die Episoden, die meist von Zukunftsangst und finanziellen Nöten getriggert wurden, sind über die Jahre deutlich seltener geworden.
 
Weil Du gerade Finanzielles angesprochen hast: Man kann Dich und Dein Schaffen via Patreon, www.patreon.com/svenvanthom, unterstützen. Amanda Palmer setzt schon seit längerem vollständig auf diese Plattform und braucht gar keine Plattenfirma mehr. Auch Judith Holofernes oder Tom Liwa nehmen diese Support-Möglichkeit, von der beide Seiten etwas haben, in Anspruch. Erklär‘ doch mal für alle Unwissenden, was genau das ist, und warum es sich lohnt!
 
Patreon ist eine Internetseite, über die man Menschen, die künstlerisch tätig sind, unterstützen kann. Wie beim herkömmlichen Crowdfunding, bekommt man dafür auch eine Gegenleistung, aber die Unterstützung bezieht sich nicht auf einzelne Projekte, wie z.B. eine Plattenveröffentlichung, sondern es läuft eher wie ein Abo. Bei mir ist es so, dass man ab 3 Euro monatlich Zugang zu meinem „Archiv“ hat: Ich poste bis zu dreimal im Monat entweder einen neuen Song oder einen, der seit langem unveröffentlicht auf meiner Festplatte verharrt. So wächst dieses Archiv stetig, und die einzelnen Lieder werden auch immer von einer ausführlichen Geschichte begleitet, in der ich Details und/oder Erinnerungen in Bezug auf das jeweilige Lied preisgebe. Einerseits habe ich großen Spaß daran, meine alten, zum Teil sehr abwegigen Songs zu teilen, und ich freue mich, wenn die sogenannten „Patrons“ das kommentieren und darüber herumnerden. Andererseits ist auch der finanzielle Aspekt natürlich nicht zu unterschätzen. Ich habe meine Patreon-Seite eingerichtet, als ich noch lange nicht geahnt hatte, dass ich für den Rest des Jahres 2020 nicht werde auftreten können. Als dann irgendwann klar war, dass meine jährlichen Einnahmen sich plötzlich erheblich dezimieren würden, war das, was über Patreon reinkam, eine kleine Sicherheit, mit der ich zumindest einen Teil meiner Fixkosten bezahlen konnte.
 
 
Das Finale „Sie ist immer noch hier“ ist ein Liebeslied aus der Perspektive eines lethargischen Losers, der es nicht begreifen kann, dass seine Herzensdame trotzdem bei ihm bleibt. Wie kamst Du darauf?
 
Zwei meiner All-Time-Favourites, Lee Hazlewood und Eels-Mastermind Mark Oliver Everett, vereinen beide den Hang zu eingängigen, manchmal gar simplen Melodien, und die Macke, sich in ihren eigenen Songs als Versager darzustellen. Eine Herangehensweise, die mir seit jeher sehr sympathisch ist. „Sie ist immer noch hier“ steht für mich in einer Tradition von letzten Liedern auf meinen Alben. Auf „Phantomschmerz“ war es die Trennungsballade „Wenn Du gehen willst“, auf „So geht gute Laune“ das ähnlich selbstzweifelnde „Was willst Du denn mit dem?“. „Sie ist immer noch hier“ fragt erstaunt, wie es kommt, dass der Protagonist tatsächlich von einer Person dauerhaft geliebt werden kann. Die Antwort bleibt das Lied schuldig. Keine clevere Wendung, aber immerhin die Gewissheit, trotz der eigenen Selbstzweifel geliebt zu werden. Ein fast schon versöhnlicher Schluss.
 
Auf besondere Weise versöhnlich ist auch das Album-Artwork: Im Eröffnungsstück heißt es: „In Deinem Ohr verpasst Dir eine Stimme einen Stich / Und sagt: Verlieb Dich bloß nicht in mich“. Das Coverartwork zeigt, dass „einen Stich versetzen“, sogar in gebündelter Form, letztendlich doch noch zu etwas Gutem führen kann – auch wenn es oft eine ganze Zeit dauert, bis sich die einzelnen losen Fäden zu einem stimmigen Bild zusammenfügen. In diesem Fall: Ein mit „Liebe & Depression“-Schriftzug besticktes Kissen. Wer hat denn dieses Kunstwerk erschaffen?
 
Die Nadel-und-Faden-Künstlerin heißt Anita Scheiner und ist im Internet unter dem Namen Frau Scheiner eine erfolgreiche Macherin in DIY-Kreisen. Vor über 10 Jahren haben Anita und ich gemeinsam in einer WG in Berlin gewohnt. Ich hatte vorerst nur die vage Vorstellung, ein gesticktes Kissen für das Cover-Artwork haben zu wollen. Die Details habe ich mit Anita am Telefon besprochen, aber im Großen und Ganzen hat sie nicht nur die sprichwörtlichen Fäden in die Hand genommen und das Bild konzipiert. Ich musste bloß noch sagen: „Finde ich super“, oder: „Kannst Du an der einen Stelle ein dunkleres Garn nehmen?“
 
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Hier kann man, untermalt vom „Liebe & Depression“-Albumtrack „Ich bin nicht die, die weint“, sehen, wie das gestickte Kissen-Kunstwerk entstanden ist:
 
 
Welche drei Songs zu den Themen „Liebe“ und/oder „Depression“ hättest Du gerne selbst geschrieben?
 
„My Autumn’s Done Come“ von Lee Hazlewood, „Der letzte Optimist“ von Judith Holofernes und „Letztes Jahr im Sommer“ von Tocotronic. Alles Lieder, die eher zur Depression passen. Mit meinen eigenen Liebesliedern bin ich halbwegs zufrieden – da brauche ich keine Fremdkompositionen!
 
Was ist der beste Rat, den Du zum Thema „Liebe“ geben kannst?
 
Kann man zum Thema „Liebe“ überhaupt etwas raten? Sollte man das überhaupt? Und wenn ja: Wurde ein Ratschlag zum Thema Liebe jemals dankend angenommen? Frag‘ einen Soziologen, eine Hirnforscherin und einen Biologen zur Liebe, und Du bekommst drei völlig unterschiedliche Abhandlungen als Antwort. Auf dem aktuellen Album von Laura Marling, „Song For Our Daughter”, heißt es: „Love is a sickness cured by time”. Das fand ich erst einmal lustig, und ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie damit auch Recht hat. Aber was wir alle wissen, ist, dass das anfängliche Gefühl des Verliebtseins nicht von Dauer ist – nach spätestens anderthalb Jahren hat sich der Hormonhaushalt wieder auf Normalniveau eingependelt, und entscheidend ist, was dann noch übrigbleibt. Irgendwann ist Liebe nicht mehr bloß ein überwältigendes Gefühl, das einen komplett vereinnahmt, sondern auch eine Entscheidung. Aber gut, Du hast nach einem Rat gefragt, den ich selber geben kann! Los geht’s: Genieße und probiere aus, gib nicht sofort auf, wenn’s mal unangenehm wird, aber verbeiße Dich auch nicht in einer Liebe, die Dir nicht gut tut. Und vor allem, höre nicht auf Leute, die Dir Ratschläge zum Thema Liebe geben! Christiane Rösinger meinte: „Liebe wird oft überbewertet“, John Lennon meinte: „All You Need Is Love“. Ich glaube, beide hatten Recht.
 
 
SVEN VAN THOM
„LIEBE & DEPRESSION“
VÖ: 05.02.2021
(u.a. HIER käuflich zu erwerben)
 
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